Verleihung des Sacharow-Preises 2002 |
Oswaldo José Payá Sardiñas, Träger des Sacharow-Preises. – (ES) Vielen Dank dem Präsidenten, Pat Cox, und diesem Parlament, das viele Völker Europas repräsentiert.
Sie haben dem kubanischen Volk den Sacharow-Preis
verliehen; ich sage das, weil es das kubanische Volk ist, das eine
solche Anerkennung verdient hat. Dabei schließe ich keinen meiner
Landsleute aus, was immer seine politische Einstellung ist, denn Rechte
haben keine bestimmte politische Farbe, unterscheiden sich nicht nach
Rasse und Kultur. Ebenso wenig haben die Diktaturen eine besondere
politische Farbe, sie stehen weder rechts noch links, es sind einfach
Diktaturen. In meinem Land kämpfen Tausende von Männern und Frauen für
die Rechte aller Kubaner inmitten eines Klimas der Verfolgung. Hunderte
befinden sich im Gefängnis, nur weil sie diese Rechte proklamiert und
verteidigt haben. Deshalb nehme ich diese Anerkennung in ihrem Namen
entgegen.
Ich sagte, dieser Preis sei für alle Kubaner, weil
ich annehme, dass Europa ihnen mit dieser Auszeichnung sagen will: „Auch
Sie haben ein Recht auf Rechte.“
Davon waren wir alle überzeugt, aber es gab Zeiten,
da sah es nicht so aus, als ob diese Wahrheit für viele in der Welt so
offenkundig wäre.
Ich bin nicht hierher gekommen, um Unterstützung für
die Opposition gegen die kubanische Regierung zu erbitten oder um die
zu verurteilen, die uns verfolgen. Es ist für Kuba keine Hilfe, dass
sich einige in der Welt aufgrund ideologischer Positionen an die Seite
der kubanischen Regierung oder an die Seite ihrer Opposition stellen.
Wir wollen, dass die Menschen für das kubanische Volk, für alle Kubaner,
Partei ergreifen. Und das bedeutet Unterstützung für die Achtung aller
ihrer Rechte, für die Öffnung und für die Forderung, dass unser Volk an
den Urnen zu den von uns verlangten Veränderungen befragt werden soll.
Wir bitten um Solidarität, um zu erreichen, dass unser Volk an den Urnen
entscheiden kann, wie es das Varela-Projekt vorschlägt.
Viele haben diesen Preis mit dem Varela-Projekt in
Verbindung gebracht, und sie haben Recht, denn die vielen tausend
Kubaner, die trotz der Repression diese Petition zur Durchführung eines
Referendums unterzeichnet haben, leisten einen entscheidenden Beitrag zu
dem Wandel, den Kuba benötigt. Dieser Wandel würde die Teilnahme am
wirtschaftlichen und kulturellen Leben bedeuten, politische und
Bürgerrechte und die nationale Aussöhnung einschließen. Es wäre eine
echte Wahrnehmung der Selbstbestimmung unseres Volkes. Es muss Schluss
sein mit dem Mythos, dass wir Kubaner ohne Rechte leben müssen, um die
Unabhängigkeit und Souveränität unseres Landes aufrecht zu erhalten.
Pater Félix Varela lehrte uns, dass Unabhängigkeit
und nationale Souveränität untrennbar mit der Ausübung der Grundrechte
verbunden sind. Wir Kubaner, die wir in Kuba und im Ausland leben, haben
als ein Volk den Willen und die Fähigkeit, eine demokratische, gerechte
und freie Gesellschaft ohne Hass und Rache zu errichten, so wie es sich
José Martí erträumte: „Mit allen und für das Wohl aller.“
Wir haben den friedlichen Weg nicht aus taktischen
Gründen gewählt, sondern weil er untrennbar mit dem Ziel unseres Volkes
verbunden ist. Die Erfahrung lehrt uns, dass Gewalt Gegengewalt
hervorruft und dass die politischen Veränderungen, wenn sie auf diesem
Wege vollzogen werden, neue Formen von Unterdrückung und Unrecht
hervorrufen. Wir wollen, dass Gewalt und Zwang nie wieder den Weg zur
Überwindung von Krisen und ungerechten Regierungen bilden. Dieses Mal
wird uns der Wandel durch diese Bürgerbewegung gelingen, die schon jetzt
eine neue Etappe in der Geschichte Kubas eröffnet, in der Dialog,
demokratische Mitwirkung und Solidarität bestimmend sind. So werden wir
einen echten Frieden schaffen.
Die heldenhaften kubanischen Bürgerrechtler, die
Bürger, die das Varela-Projekt unterzeichnen, tragen keine Waffen. Wir
haben keine einzige Waffe. Wir strecken beide Hände aus und reichen sie
allen Kubanern als Brüder und allen Völkern der Welt. Der erste Sieg,
den wir verkünden können, lautet, dass wir keinen Hass im Herzen tragen.
Deshalb sagen wir jenen, die uns verfolgen und uns zu beherrschen
trachten: Du bist mein Bruder, ich hasse dich nicht, aber du wirst mich
nicht weiter durch Angst bezwingen, ich will dir meine Wahrheit nicht
aufzwingen, und ich will nicht, dass du mir deine aufzwingst, lass uns
gemeinsam die Wahrheit suchen.
Das ist die Befreiung, die wir proklamieren.
Manch einer verficht noch immer den Mythos der
Trennung zwischen den politischen und Bürgerrechten auf der einen Seite
und der Fähigkeit einer Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit und
Entwicklung zu schaffen, auf der anderen. Sie schließen einander nicht
aus. Das Fehlen ziviler und politischer Rechte in Kuba hat zu
gravierenden Konsequenzen geführt wie der Ungleichheit, Armut für die
Mehrheit der Bevölkerung, Privilegien für eine Minderheit,
Verschlechterung einiger Dienstleistungen, auch wenn sie als humane und
positive Systeme konzipiert sind. Somit existiert heute, obwohl viele
Kubaner über Jahre mit Hingabe und ehrlich gearbeitet haben, neben einer
wachsenden Ungleichheit und einer immer schlechter werdenden
Lebensqualität für die Mehrheit, eine schwierige Situation in der Frage
der politischen und Bürgerrechte. Mehr noch, den Bürgern werden die
Hände gebunden, sodass die gewaltigen Potenziale an Fleiß und
Kreativität der Kubaner nicht zum Tragen kommen können. Hier liegt die
Hauptursache für unsere Armut.
Diese Situation lässt sich nicht durch die
Behauptung rechtfertigen, das kubanische Volk habe dieses System selbst
gewählt. Sie wissen, dass keines der Völker, die in diesem Parlament
vertreten sind, kein Volk der Welt, jemals auf die Ausübung seiner
Grundrechte verzichten würde.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass der
wirtschaftliche und soziale Wohlstand und Fortschritt die Frucht der
Wahrnehmung der Rechte sind. Gleichzeitig ist eine Demokratie nicht echt
oder nicht vollkommen, wenn sie nicht in der Lage ist, einen Prozess
zur Erhöhung der Lebensqualität aller Menschen einzuleiten und
aufrechtzuerhalten. Denn kein Volk übt sein freies Wahlrecht aus, um
sich für Armut und Ungleichheit zu entscheiden, die den großen Massen
Nachteil und Ausgrenzung bringen. Unsere lateinamerikanischen Völker
fordern eine wirkliche Demokratie, in der Gerechtigkeit geschaffen
werden kann. Es ist skandalös, dass im Namen der Effektivität Methoden
angewendet werden, die Krisen überwinden und die Armut besiegen sollen,
aber in Wirklichkeit die Armen zu Grunde zu richten drohen.
Es liegt nicht in meiner Absicht, neue Positionen
oder Modelle zu verkünden, aber unser Volk hat unter verschiedenen
politischen und wirtschaftlichen Systemen gelebt und gelitten. Heute
wissen wir, dass jede Methode oder jedes Modell, das sich auf der
vermeintlichen Suche nach Gerechtigkeit, Entwicklung oder Effektivität
über den Menschen stellt oder eines der Grundrechte beseitigt, zu
irgendeiner Form von Unterdrückung und zur Ausgrenzung und die Menschen
in die Katastrophe führt. Wir wollen von hier aus unsere Solidarität mit
allen Menschen in der Welt zum Ausdruck bringen, die unter irgendeiner
Form von Unterdrückung und Unrecht leiden oder die mundtot gemacht oder
ausgegrenzt werden.
Die Menschenrechte sind unteilbar, wie es nur eine
Menschheit gibt. Wenn heute von Globalisierung die Rede ist, so sagen
wir voraus und warnen, dass, wenn die Solidarität nicht globalisiert
wird, nicht nur die Menschenrechte bedroht sind, sondern auch das Recht,
als Menschheit fortzubestehen. Ohne menschliche Solidarität werden wir
auch keine saubere Welt erhalten, in der es Menschen zu leben möglich
ist.
Deshalb glaube ich in aller Bescheidenheit, dass
statt neuer Modelle in den Gesellschaften und in den Beziehungen
zwischen den Ländern ein neuer Geist notwendig ist.
Dieser neue Geist muss seinen Ausdruck in
Solidarität, Zusammenarbeit und Fairness in den Beziehungen zwischen den
Ländern finden und darf die Entwicklung nicht hemmen. Denn wenn die
Politiken und Modelle der Verwirklichung des Menschen der Errichtung von
Recht und Demokratie untergeordnet werden, wenn die Politiken
humanisiert werden, dann wird die Kluft zwischen den Völkern überwunden
und wir werden eine wirklich menschliche Familie sein.
Möge unsere Botschaft von Frieden und Solidarität
von Kuba aus alle Völker erreichen. Alle Kubaner nehmen diesen Preis in
Würde entgegen, indem wir unserer Hoffnung Ausdruck geben, unsere
Gesellschaft mit der Liebe aller, als Brüder, als Kinder Gottes neu
aufzubauen. Wir Kubaner sind einfache, aufrichtige Menschen, wir wollen
nur in Frieden und von unserer Hände Arbeit leben, aber wir können und
wollen nicht ohne Freiheit sein.
Wir richten unsere Hoffnung auf unseren Herrn, der
in eine bescheidene Krippe gelegt wurde, und dies ist unsere Huldigung
an Ihn.
Vielen Dank und Frohe Weihnachten.
(Die Mitglieder des Parlaments erheben sich und spenden lebhaften Beifall.)
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