Kubas Dissidenten
Das "Projekt Varela" der "Christlichen Bewegung der Befreiung"
Von Peter B. Schumann. http://www.dradio.de
50 Jahre Kubanische Revolution, das bedeutet auch 50 Jahre Opposition. Auch drakonische Strafen haben einzelne Kubaner und kleinere Gruppen nie daran gehindert, öffentlich gegen das Regime zu protestieren. Eine der beständigsten Organisationen hat Oswaldo Payá vor 20 Jahren gegründet: die "Christliche Bewegung der Befreiung". Sie hat durch das "Projekt Varela" 2002 international auf sich aufmerksam gemacht und es jetzt erneut aufgenommen.An jedem Arbeitstag verlässt Oswaldo Payá frühmorgens sein kleines Haus in Havanna, wo er mit seiner Familie wohnt. Er setzt sich aufs Fahrrad und begibt sich zu einer Klinik, einer Krankenstation, einem Labor oder wo auch immer ein medizinisches Gerät defekt ist. Er arbeitet für den Staat, denn er ist ein gefragter Spezialist für die Reparatur solcher Technik.
Doch nicht aus diesem Grund ist die Regierung so auffallend um Oswaldo Payá besorgt, dass sie ihm auf seinen Fahrten motorisierte Begleiter mitschickt und auch sein Haus ständig beobachten lässt: Payá ist einer der bekanntesten Dissidenten Kubas. Vor zwanzig Jahren hat er die "Christliche Bewegung der Befreiung" gegründet und vor rund sechs Jahren mit dem "Projekt Varela" internationales Aufsehen erregt. Denn zum ersten Mal in der Geschichte dieser Revolution hatte eine oppositionelle Organisation mehr als 25.000 Unterschriften für ein Referendum gesammelt, mit dem die Regierung zu einem nationalen Dialog aufgefordert werden sollte. Doch diese antwortete damals mit der gewohnten Repression.
"Zuerst versuchte sie, die Sammlung der Unterschriften mit allen Mitteln zu verhindern", so Carlos Payá, der im Madrider Exil lebende Bruder des Organisators. "Dann schlug sie mit der Verhaftungswelle im sog. Schwarzen Frühling 2003 zu. 75 Dissidenten wurden festgenommen, 42 davon hatten für das Projekt gearbeitet, 13 waren Mitglieder unserer Bewegung."
Viele von ihnen sind noch immer in Haft. Die Hoffnung der Dissidenten richtete sich nach Fidel Castros Rückzug auf den neuen Staatspräsidenten, seinen Bruder Raúl. Aber dessen groß angekündigte Reformen entpuppten sich bald als zögerliche Versuche oberflächlicher Veränderungen. Deshalb hat Oswaldo Payá das Projekt Varela erneut aufgenommen.
"Wir fordern Meinungsfreiheit, Amnestie für die politischen Häftlinge, ein neues Wahlgesetz", so Payá in Havanna. "Und außerdem die freie Ausübung aller Berufe, damit wir unseren Lebensunterhalt verbessern können und zwar ohne dass dies als Delikt betrachtet wird. Das Projekt Varela will also auch einen Ausweg aus der Armut zeigen und richtet sich weder gegen die Solidarität noch gegen die sozialen Errungenschaften."
Oswaldo Payá und seine Mitstreiter stützen sich dabei auf einen Verfassungsparagraphen, nach dem mindestens 10.000 'Wahlbürger' mit ihrer Unterschrift ein Referendum fordern können. Er ist also ein völlig legaler Vorgang. Da er jedoch nicht von der Regierung, sondern von einer Dissidenten-Organisation durchgeführt wird, stellt er das offizielle Machtmonopol infrage und wird als subversiv behandelt. Was bewegt einen Kubaner dennoch, sich in eine Liste des Varela-Projekts einzutragen?
"Wenn sich jemand mit vollem Namen, Personalausweis-Nummer und Adresse einschreibt, dann überwindet er seine Angst. So hat noch jede Befreiung begonnen", meint Carlos Payá. "Die Devise unserer Bewegung lautet für den Fall, dass der Staatssicherheitsdienst ein Mitglied bedroht: 'Ich hasse dich nicht, und ich habe auch keine Angst vor dir.'"
Viele Kubaner sind heute bereit, die Risiken auf sich zu nehmen, die mit einer simplen Unterschrift unter ein oppositionelles Projekt verbunden sind. Natürlich werden die Behörden nicht Tausende von Leuten verhaften. Sie gehen selektiv vor, und dabei haben schon manche ihren Arbeitsplatz verloren. Noch gefährlicher ist es für die Verantwortlichen wie Oswaldo Payá. Dem Träger des Sacharov-Preises des Europäischen Parlaments blieb bisher zwar das Gefängnis erspart. Aber seit er 1998 die "Christliche Bewegung der Befreiung" gegründet hat, lebt er unter ständiger Observierung.
"Außerdem versuchen sie, seine Umgebung unter Druck zu setzen", berichtet sein Bruder. "Die wichtigsten Mitarbeiter befinden sich im Gefängnis, einige wurden zu 15 und sogar zu 28 Jahren Haft verurteilt. Das ist skandalös. Sein Haus wird nicht nur rund um die Uhr beobachtet. Überall haben sie auch Schilder aufgehängt und Sprüche auf die Wände gemalt: Verräter, CIA-Agent und ähnliches. Regelmäßig wirft jemand Steine aufs Haus. Und kürzlich flog sogar ein Fahrradteil an die Tür."
Die Brüder Payá stammen aus einer Familie gläubiger Katholiken, in der niemand Sympathien für die Revolution besaß. Carlos wurde der Universität verwiesen, wo er Architektur studierte, weil er sich nicht an Denunziationen beteiligen wollte. Er wählte bald darauf das Exil. Oswaldo weigerte sich beim Militärdienst, politische Gefangene zu transportieren, und wurde dafür drei Jahre lang in ein Arbeitslager gesteckt. Immerhin konnte er später seine Ausbildung als Telekommunikations-Ingenieur machen.
"Er geht noch immer seiner Arbeit nach, das heißt er nimmt sein Recht auf Arbeit wahr", so sein Bruder Carlos. "Wir fühlen uns frei und üben alle uns zustehenden Rechte aus. Dazu gehört auch das Recht auf Arbeit. Es wird von der Regierung kontrolliert, nicht von den hier ansässigen Privatfirmen. Also kann Oswaldo nur für die Regierung arbeiten und medizinische Apparate reparieren. Das tut er nun schon sein ganzes Leben lang."
Im Gegensatz zu vielen anderen Dissidenten-Organisationen lehnt die "Christliche Bewegung der Befreiung" jegliche Förderung durch US-amerikanische Institutionen oder die Miami-Fraktion des kubanischen Exils ab. Sie will auch finanziell frei sein. Deshalb versucht Carlos Payá in Europa Spenden aufzutreiben für seinen Bruder und dessen Bewegung. Doch die EU hält sich seit einiger Zeit bei der Unterstützung der kubanischen Opposition auffallend zurück.
"Die europäische Delegation in Cuba reagiert geradezu allergisch auf Dissidenten. Oswaldo war zu den Feierlichkeiten der 15. Vergabe des Sacharov-Preises nach Strassburg eingeladen. Doch nicht nur die kubanische Regierung hat alles getan, um seine Ausreise zu verhindern. Auch der EU-Repräsentant in Havanna, der die Einladung übermitteln sollte, ist seiner Aufgabe nicht nachgekommen. Die Haltung der Vertretung der Europäischen Union in Kuba schwankt zwischen Komplizenschaft und Feigheit."
Starke Worte von Carlos Payá. Doch viele kubanische Dissidenten kritisieren, dass die Europäer und vor allem ihre Wortführer, die Spanier, zu viel Rücksicht auf die Reaktion der Castro-Regierung nehmen. Nach der Verhaftungswelle im "Schwarzen Frühling 2003" hatte die EU ihre Beziehungen zu Kuba eingefroren und Castro seinerseits daraufhin die diplomatischen Kontakte auf ein Minimum reduziert.
Viele Wirtschaftsverträge lagen auf Eis, denn für den "Máximo Líder" wie für seinen Nachfolger ist das Beharren auf einer ideologischen Position noch immer wichtiger als ein Handelsabkommen, das die Notlage der Bevölkerung erleichtern könnte. Inzwischen haben beide Seiten die Verhandlungen wieder aufgenommen. Aber der EU scheinen auch im Fall Kuba die Wirtschaftsinteressen oft wichtiger als die Menschenrechte zu sein. Davon werden sich jedoch die kubanischen Dissidenten nicht beirren lassen. Oswaldo Payá erklärte in diesen Tagen:
"Alle Kubaner sollten sich in Dankbarkeit der politischen Gefangenen, dieser Verteidiger der Menschenrechte erinnern und der schrecklichen Umstände, unter denen sie leben müssen. Unser Wunsch nach Veränderung ist zugleich auch ein Recht auf Veränderung, die von uns Kubanern, von innen ausgehen muss. Unsere Bilanz am 1. Januar lautet: 50 Jahre, eine halbes Jahrhundert ohne Freiheit für verschiedene Generationen von Kubanern."
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